Franz Kafka erlebt dieser Tage eine Renaissance. Ausgerechnet auf TikTok, dem sozialen Netzwerk der Jüngeren, finden Beiträge über den vor fast 100 Jahren verstorbenen tschechischen Autor ein Millionenpublikum. Was können Autorinnen und Storyteller daraus lernen?
140 Millionen Views hat der Hashtag #kafka auf TikTok mittlerweile erreicht. Ajunx‚ Video mit einem Zitat Kafkas aus der englischen Ausgabe seiner Erzählung „Die Verwandlung“ etwa wurde 1,5 Millionen Mal gesehen:
Zum Vergleich: Kafkas erste Veröffentlichung, der Sammelband „Betrachtung“, erreichte 800 Leser.
Woran aber liegt es, dass Kafka auf einmal wiederentdeckt wird? Jahlia Solomon beschreibt die Gründe im Online-Magazin RUSHH so:
When it comes down to it, in the current zeitgeist Kafka’s writing unpacks the feelings we are all experiencing during the last few years. From the pandemic, impending climate crisis and the alienation of modern life you can see how a story about a man waking up as a giant insect would feel somewhat comforting to readers of today.
RSHH
Katharina Brenner-Meyer kommt im Stern zu einem ganz ähnlichen Schluss:
Pandemie, Krieg, Klimawandel – die Gen Z wird im Krisenmodus erwachsen. Kein Wunder, dass sie Kafkaeskes, auf unergründliche Weise Bedrohliches, mag. Kafkas Werk handelt häufig von Situationen der Hilflosigkeit. Wer wüsste schon, was zu tun wäre, wenn er morgens plötzlich in Gestalt eines Käfers aufwacht, wie Kafkas Gregor Samsa in „Die Verwandlung“.
Stern
Autorinnen und Storyteller können aus diesem späten Erfolg zwei Erkenntnisse gewinnen.
- Trau dich originell zu sein! Geschichten leben von starken Bildern. Außergewöhnliche Situationen, wie sie Kafkas Werk durchziehen, bieten diese Bilder.
- Mach dir klar, welche elementare emotionale Situation deiner Story zugrunde liegt! Diese Erkenntnis ist sicher noch wichtiger. Nur die wenigsten Menschen werden es erleben, dass sie morgens aufwachen und in einen Käfer verwandelt auf dem Bett liegen. Aber das Gefühl, das diese Situation auslöst, die Angst, die Hilflosigkeit, die Scham, die Kafkas Protagonist empfindet – die kennen wir alle. Was einem droht, wenn man in eine Situation gerät, die diese Gefühle auslöst, ist die Frage, die Menschen beschäftigt und in der sie exemplarische Antworten in Geschichten suchen. Um ehrlich zu sein: Manchmal suchen sie auch nach Lösungen, aber da ist Kafka selten eine gute Anlaufstelle. Das Gefühl hilflos den Katastrophen einer undurchschaubaren Welt ausgeliefert zu sein, bleibt in seinen Geschichten erhalten. Das aber intensiviert die emotionale Erfahrung eher noch.
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