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Das Geheimnis erfolgreicher Storyteller

Seit Jahrtausenden rätseln Menschen, was die erfolgreichen von den erfolglosen Geschichten unterscheidet. Verlage und Fernsehanstalten würden ein Vermögen bezahlen, um dahinter zu kommen. Auch für das Marketing wäre dieses Wissen pures Gold.

Doch die Frage ist kaum zu beantworten. Geschichten unterschiedlichsten Inhalts und Form mausern sich, oft gänzlich unerwartet, zu Kassenschlagern oder gehen viral. Und hat man einmal ein Rezept gefunden, schleicht schon eine Geschichte um die Ecke, die alles ganz anders macht – und genau deswegen zum Erfolg wird.

Einen Hinweis gibt es aber, was erfolgreiche Erzähler ausmacht. Denn die gleichen sich in den unterschiedlichsten Metiers oft in einem entscheidenden Punkt. Um das zu verstehen, reisen wir über 2500 Jahre in die Vergangenheit. Aber keine Sorge, unser Ausflug führt uns in die digitale Gegenwart zurück.

Gastrecht bei Königen

Im Griechenland des 8. vorchristlichen Jahrhunderts dürsten die Könige und Adligen an den Fürstenhöfen der griechischen Polis nach Unterhaltung. Der Dichter Homer liefert ihnen den Stoff, den sie brauchen. Seine „Ilias“ und „Odyssee“ gelten bis heute als frühe Meisterwerke des Erzählens, die Geschichten kennt fast jedes Kind.

Homer war allerdings nicht nur Dichter. Wie viele andere reiste er von Königshof zu Königshof, um vor den Fürsten seine Werke vorzutragen. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, konkurrierten die Rhapsoden, wie die Griechen ihre Erzähler nannten, mit anderen Vergnügungen, zudem trafen sie auf ein selten nüchternes, aber gerne gewaltbereites Publikum. Es ist kein Zufall, dass Homer in seinen Epen so oft das Gastrecht preist.

Doch als erfahrene Unterhaltungskünstler wussten die Rhapsoden ihr Publikum zu nehmen – und das Erzählen an den Höfen lehrte sie ihr Publikum einzuschätzen.

Den Glauben teilen

Auf ganz andere Art gelang das vier Schreibern, die einige Jahrhunderte später eine der erfolg- und einflussreichsten Geschichten der Menschheit zu Papier brachten: die vier Evangelisten der christlichen Bibel.

Wie Homer kannten sie ihr Publikum sehr genau, lebten sie doch in den kleinen christlichen Gemeinden der frühen Kirche mitten unter ihnen. Sie kannten vielleicht das Leben Jesu Christus nicht mehr aus eigener Anschauung (was ihnen gerne vorgeworfen wird), aber das galt ebenso für Homers Kenntnisse des trojanischen Krieges – wenn er den überhaupt stattgefunden hat. Hingegen wussten Markus, Matthäus, Lukas und Johannes sehr genau, für wen sie schrieben. Und mit der Anzahl an Gläubigen wuchs die Anzahl ihrer Leser.

Bretter, die die Welt bedeuten

Ähnlich vertraut mit seinen Zuschauern war jemand, der im 16. Jahrhundert das Theater zu neuer Blüte führte. William Shakespeare war nicht nur Autor, er spielte selber und war Teilhaber eines der erfolgreichsten Theaterensembles seiner Zeit. Abend für Abend stand er seinem Publikum gegenüber und musste es überzeugen. Was nicht ankam, wurde gnadenlos verspottet und ausgebuht. Schlimmer noch: Das Publikum blieb aus und amüsierte sich bei der Konkurrenz. Denn Theater gab es in London jede Menge.

Der große Graben und die neue Brücke

Heute ist die Distanz zwischen Erzähler und Publikum scheinbar unüberwindbar geworden. Autorinnen und Autoren veröffentlichen ihre Bücher in Verlagen, die sie über den Großhandel an Buchhandlungen ausliefern, wo sie ihre Leser finden. Drehbuchautoren sitzen im stillen Kämmerlein, während ihre Geschichten im Kino oder auf dem Bildschirm erzählt werden.

Zwar sind sie nur selten live dabei, wenn ihre Werke auf Publikum treffen. Aber Digitalisierung und Big Data bauen neue Brücken. Netflix analysiert das Verhalten seiner Zuschauer minutiös, auch Amazon weiß ziemlich genau, was Sie lesen – und wenn Sie den Kindle benutzen auch, wie weit Sie in einem Buch kommen und wie schnell.

Ob das immer wünschenswert ist, ist eine andere Frage.

Erzählern bietet die Digitalisierung jedoch eine Möglichkeit an das Erfolgsrezept ihrer Vorgänger anzuknüpfen: Eine sehr gute Kenntnis ihres Publikums. Denn das ist das Geheimnis all dieser erfolgreichen Erzähler: Sie wussten vielleicht nicht alles über das, worüber sie schrieben. Aber sie wussten, für wen sie schrieben.

Und das ist vielleicht der wichtigste und beste Rat, den man Filmemachern, Romanautoren und Storytellern geben kann:

Kenne dein Publikum!

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