Journalismus basiert (hoffentlich) auf Fakten zu basieren. Aber wie wir Fakten zusammenstellen, webt immer eine Story. An zwei Beispielen aus der Berichterstattung zur gestrigen niederländischen Parlamentswahl, lernst du hier, wie dadurch Narrative gebildet werden.
Das erste Beispiel entstammt der Rheinischen Post. Sie beginnt ihren Artikel zur Wahl in den Niederlanden wie folgt:
Während die liberalen Democraten66 und ihr Spitzenkandidat Rob Jetten in den Niederlanden das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte holen, verliert die rechtspopulistische PVV stark. Premier-Kandidat Jetten will nun „die Seite Wilders umschlagen“.
Rheinische Post: Hochspannung und Richtungswechsel bei Parlamentswahlen in den Niederlanden
Ganz offensichtlich: Die Linksliberalen um die D66 haben gewonnen, Rechtspopulist Wilders verloren. Anders beginnt der Text zu den Wahlen auf Tagesschau.de:
Erst sah es nach einem Sieg für die Linksliberalen in den Niederlanden aus, doch laut einer neuen Hochrechnung holt die PVV vom Rechtspopulisten Wilders auf. Es zeichnet sich ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen ab.
Tagesschau.de: Wilders und Linksliberale laut Hochrechnung fast gleichauf
Laut Tagesschau hat Wilders am Ende das Blatt gewendet, D66 ist es nicht gelungen ihn und seine PVV zu schlagen.
Nun ließe sich einwenden, dass beide Artikel in der Summe die gleichen Fakten und Informationen präsentieren. Z.B. räumt die Tagesschau am Ende z.B. ein, dass die PVV fast ein Drittel ihrer Sitze verloren hat.
Doch anders als in der Fiktion, wo das Ende der Geschichte eine komplett neue Bedeutung geben kann (und soll), bestimmt im Journalismus der Anfang die Story. Das Ende ergänzt hier nur (wenn es überhaupt gelesen wird). Das Wichtigste zuerst, lautet eine alte Journalistenregel.
Und wie in diesem Beitrag gesehen, formen Stories Narrative, die unser Denken und unser Handeln formen. Und konträrer könnten die Geschichten dieser beiden Artikel nicht sein:
Die D66 gewinnt, die PVV verliert
vs.
Wilders verhindert den Sieg der D66
Zwangsläufig zahlen beide Beiträge auf ebenso gegensätzliche Narrative ein:
Der Vormarsch der Rechtspopulisten ist gestoppt
vs.
Der Vormarsch der Rechtspopulisten ist unaufhaltsam
Gleiche Fakten – unterschiedliche Botschaft.
Wo aber liegt die Wahrheit? Das ist manchmal schwer zu entscheiden, in diesem Fall aber schon:
Die Rheinische Post baut ihren Beitrag auf einem Vergleich zur letzten Parlamentswahl auf. Die D66 verdreifacht ihren Anteil an Sitzen, die PVV verliert fast ein Drittel. Das sind Konsequenzen aus Politik und Wahlkampf, auf die die Parteien Einfluss nehmen konnten Der Beitrag der Tagesschau hingegen greift die Spannung (!) des Wahlabends auf, an dem D66 zunächst deutlich vorne lag, Wilders PVV aber aufholte. Allerdings liegt das an der Reihenfolge, in der die Stimmen ausgezählt worden. Weder D66 noch PVV sind dafür verantwortlich.
Journalismus muss sich bewusst machen, dass jeder Artikel ein Narrativ prägt und gleichzeitig prüfen, ob dieses Narrativ der Wahrheit entspricht. Denn leider lassen sich auch mit Fakten falsche Wahrheiten konstruieren und am Ende setzt sich die Geschichte durch, die öfter erzählt wird.
Hast du eine Anmerkung oder willst mehr über die Macht von Narrativen erfahren?
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